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Himmlische Pfadfinder

Engel sind im Alten Testament eine Art Vermittler zwischen Gott und dem Menschen. Viele zählen lieber auf ihren Schutzengel. Der aber hilft nur den Glaubensschwachen, eine religiöse Versorgungslücke zu schließen.

Manchmal sind die Engel ganz nah bei uns. Wie in Wim Wenders` Film "Der Himmel über Berlin". Hocken in der damals noch geteilten Stadt auf der Siegessäule, auch auf der Mauer. Sind unsichtbar für uns, ein wenig melancholisch, Trostspender der Menschen - und manchmal auch verliebt. Weshalb ein Engel im Film seine Unsterblichkeit drangibt, seine Federn nach und nach verliert und in die Welt der Menschen hinabsteigt. Als ob das was Schlechtes, gar Unbefriedigendes sei, ein Engel. Ist es das?

Die Menschwerdung eines Engels ist die Ausnahme; dass sie zu uns hernieder kommen und wenigen von uns erscheinen, die biblische Regel. Dann klären sie uns auf (im Traum über Marias Schwangerschaft), oder vollstrecken das Himmlische Gericht, sie erscheinen mitunter in einer feurigen Flamme, sie wälzen den Stein vor dem Grab Jesu Christi fort, erscheinen weiß gewandet, haben auch Namen und sind individuell - wie Michael oder der Erzengel Gabriel.

Vor allem aber sind sie Überbringer göttlicher Botschaften, wobei man vermuten darf, dass sie auch Übersetzer des göttlichen Wortes sind. Ob Gott ganz ohne Engel sprachlos wäre, darf mit Fug bezweifelt werden. Doch hätte Gottes Wort ohne die Engel möglicherweise eine andere Farbe. Engel sind nach den Worten des Paderborner Theologen Thomas Schärtl "ganz Kommunikation". Sie sind die Vermittler zwischen Himmel und Erde. Ihre Erfahrung ist auch ein Teil der Erfahrung Gottes, ihr Erscheinen Zeichen der Gottesnähe.

Auch wenn die Engel die Kommunikationspfade zwischen Gott und den Menschen immer wieder be- und abschreiten, alltäglich sind ihre Wege nie. Selbst fröhliche Botschaften bedürfen der vorbereitenden Einleitung, der Beruhigung. So kommt es, dass sogar in der Weihnachtsgeschichte die Engel gezwungen sind, ihre dramatischen Auftritte mit der Formel "Fürchtet euch nicht" zu beginnen. Wie jener Engel, der den nachtwachenden Hirten auf dem Feld erscheint: "Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden wird. Denn heute ist euch in der Stadt Davids ein Heiland geboren, nämlich der Messias, der Herr", heißt es bei Lukas.

Eigentlich merkwürdig, dass der Gedanke an Furcht die Engel solcherart handeln lässt. Aber es stimmt natürlich, dass Engels-Auftritte, ganz gleich welche Gottesbotschaft sie mit sich führen, stets ungeheuerlich sind. Denn sie legen eine Spur in das Geheimnis der Schöpfungsgeschichte, sie offenbaren uns mit ihren Worten Gottes Handlungen. In der Figur des Engels wird der Geist bildlich, wird ganz konkret. Man ist beinahe versucht, ihn zu berühren und zu greifen.

Das Gegenständliche ist zugleich ein Handicap des Engels. Denn wer so hautnah in Erscheinung tritt, darf sich nicht wundern, wenn er vereinnahmt wird. Eine Variation ist der Schutzengel, der persönliche Wach- und Schutzdienst, der mal auf der Schulter hockt, ein anderes Mal im Wagen auf dem Beifahrersitz. Dass es dennoch Unfälle, auch Todesfälle sonder Zahl gibt, lässt darauf schließen, dass der Engel als funktionstüchtiger Dienstleister vor allem eins ist: eine durch und durch irdische Wunschvorstellung.

So misslich dies auch ist - der Schutzengel ist Ausdruck einer religiösen Mangelerscheinung. Dort, wo der Glaube an einen nicht eben leicht vorstellbaren Gott fehlt, greift man sich gern das Nächstbeste, den Engel. Er schließt damit, wie es in der Sprache der Theologen heißt, eine Art transzendenter Versorgungslücke. Der Schutzengel verdankt seine Existenz größtenteils der Frage, ob es Engel und was es überhaupt gibt. Selbst in der Theologie sind Engel umstritten. Denn die Vorstellung von diesen Geschöpfen ist verknüpft mit dem mittelalterlichen Welt- und Himmelsbild: Gott als thronender Herrscher, die dienstbare Engelschar darunter. Mit dieser naiven Vorstellung veraltete auch dessen personelles Inventar.

Versucht es vielleicht deshalb der ein oder andere Engel, es mit der Menschenliebe und dem Menschwerden zu probieren? Bei Wim Wenders verschenkt der himmlische Absteiger sein Herz an eine Trapezkünstlerin. Auch sie lässt uns nach oben schauen - aber nur für die paar Augenblicke, bis ein altes Sehnen im Sprungnetz endet.


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