Kinder der Milchstraße

Wir Kinder der Milchstraße

Himmelskunde

Der Sternenforscher Harald Lesch erklärt in diesem Gastbeitrag, warum der Schöpfer ein Meister ist.

Der Trieb, das Universum zu erkunden und es zu verstehen, ist so alt wie die Menschheit. Nicht umsonst gilt die Astronomie als die �lteste aller Naturwissenschaften. Anfangs war der gestirnte Himmel über uns noch erfüllt von Göttern. Mit der Erkenntnis, dass der gesunde Menschenverstand, also vielleicht der göttliche Funke im Menschen, das Universum verstehen kann, gewann astronomische Forschung immer größeren Wert. Die Astronomie des 21. Jahrhunderts ist keine benennende Wissenschaft mehr, sondern eine fragende. Sie fragt nach der Entwicklung des Universums, nach den elementaren Gesetzen, die das All beherrschen.

Diese Verwandlung der Astronomie begann mit dem Blick durch das Fernrohr. Hier bissen die Hunde nicht den letzten, sondern den ersten, der den Blick wagte, als nämlich Galileo Galilei 1608 den Inquisitoren des Vatikans anbot, doch selbst zu schauen, wenn sie ihm nicht glaubten. Diese lehnten ab, weil ihrer Meinung nach jenes merkwürdige Rohr die Wirklichkeit nicht zeigt, die theologische Wirklichkeit, wohlgemerkt.

Galilei widerrief, aber das nutzte nichts. Aus Sicht der Theologen war die B�chse der Pandora offen. Die Entdeckung Galileis, dass sich alles ganz anders verh�lt, als es die Theologen wollten, war nur der Beginn einer andauernden Dynamisierung des Weltbildbegriffs. Richtig angefangen hat das vor rund 200 Jahren.

Damals zeigte der genaue Blick durchs Fernrohr: Der n�chste Stern ist Billionen Kilometer von der Erde entfernt. Je besser die Fernrohre wurden, umso größer wurde das Blickfeld. Als Entfernungsmessstab blieb bald nur noch das Licht.

Die Tatsache, dass sich im Universum nichts (außer unseren Gedanken) schneller als mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen kann, bietet eine aufregende Schlussfolgerung: Alles, was wir am Himmel sehen, ist bereits Vergangenheit. Selbst der Anblick der Sonne ist ein Anblick von vor acht Minuten, denn das Licht braucht acht Minuten von der Sonne zur Erde.

Das Universum hatte einen Anfang. Es entwickelte sich aus einem sehr dichten und sehr heißen "Tag ohne Gestern" in ein immer dünneres, immer kühleres Universum. Es entstanden Atomkerne und Elektronen. Minuten nach dem Anfang waren die Bestandteile alle vorhanden: Wasserstoff, Helium und Elektronen. Dazu kam jede Menge Licht, die Photonen: knapp 10 Milliarden Photonen auf ein Teilchen. Es gibt also im Universum viel mehr Licht als Schatten. 

Diese Vorstellung von der Geburt des Alls ist in seinen Grundzügen heute durch Beobachtungen sehr gut abgestützt. Natürlich bleibt uns die "Causa finalis" verborgen, das, was vor dem Urknall war, ist kein Thema der modernen Astronomie, aber wir haben doch genügend klare Evidenzen für die Geburt des Ganzen. Wir schätzen, dass das Universum vor etwa 15 Milliarden Jahren entstanden ist, und wissen heute, dass mit dem Beginn der Tanz der Materie begann. 

Seit seiner Geburt expandiert das Universum. Mit jedem Tag wird es größer und kälter.

Wo steht der Mensch in diesem sehr kalten, sehr alten und fast völlig leeren Kosmos? Wenn Sie diesen Artikel lesen, vollziehen sich in Ihnen biochemische Prozesse, an denen Elemente wie zum Beispiel Kohlenstoff, Sauerstoff, Calzium, Natrium und Kalium beteiligt sind. Diese Elemente gab es nicht schon immer, sie wurden in kosmischen Schmelz�fen erbr�tet.

Die Sterne sind sehr erfolgreiche Alchemisten; sie gewinnen Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen. Sie brüten aus Wasserstoff Helium, aus Helium Sauerstoff; die Kette geht bis zum Eisen. Dort bricht die Energieversorgung ab. Die meisten Sterne gehen dann einfach aus. Gro�e Sterne aber explodieren. In Sternen werden Atomkerne miteinander verschmolzen. Alle Lebewesen auf der Erde bestehen zu 92 Prozent aus Sternenstaub. Wir bestehen also aus den Überresten von Sternexplosionen, sind Kinder der Milchstraße.

Aber ist unser Weltbild jetzt komplett? Leider nicht! Wir stehen in der Astronomie vor einer scheinbar undurchdringlichen Erkenntnisschranke, denn es gibt auch eine dunkle Seite des Universums - die so genannte "Dunkle Materie". Es handelt sich bei ihr um eine Form von Materie, die sich nur durch ihr Gewicht und damit ihre Schwerkraftwirkung bemerkbar macht. Jede Milchstraße ist von einer Atmosphäre Dunkler Materie umgeben. Sie bestimmt sogar die Entstehung von Galaxien und Galaxienhaufen. Ohne die Schwerkraft der Dunklen Materie h�tte sich in unserem Universum bis heute keine einzige Galaxis entwickelt. Die Dunkle Materie stellt das Meer der Materie dar. Sie muss aus völlig anderen Teilchen bestehen als die, die wir kennen. Und es gibt keine plausible Lösung für dieses Problem. 

Trotz dieser Schwierigkeiten mit dem dominierenden Materieanteil im All können wir mit großem Vertrauen auf unser heutiges Bild vom Universum blicken. Die größte Erkenntnis der modernen Astronomie ist nämlich, dass alle irdischen Naturgesetze überall im Universum gelten. Theorien, die auf der Erde zur Erklärung irdischer Experimente entwickelt wurden, bestätigen sich im All auf grandiose Weise. Wir können heute mithilfe von umeinander kreisenden Sternleichen, zwei jeweils zehn Kilometer großen Kugeln, die nur aus Neutronen bestehen, die allgemeine Relativitätstheorie bis auf zehn Stellen hinter dem Komma genau überprüfen. Resultat: Sie stimmt. 

Eine Inspektion der physikalischen Zusammenhänge liefert sogar einen extrem engen Spielraum für Naturkonstanten und Gesetze. Wir könnten in keinem anderen Universum existieren, denn nur in einem dreidimensionalen Raum sind die Planetenbahnen stabil. Nur in unserem Universum ist die Materie stabil. Nur hier konnte Leben entstehen. 

Betrachtet man die lange Reise, die wir vom Urknall zum Heute durchlaufen haben, so offenbart sich einem ein Ehrfurcht gebietendes Schauspiel. Ich persönlich halte es mit Vincent van Gogh: "Man sollte Gott nicht nach dieser Welt beurteilen, die ist nur eine Studie, die nicht gelungen ist. Aber es muss ein Meister sein, der solche Schnitzer macht!"



Der
Autor ist Professor für Astrophysik an der LMU München und Professor für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München. 


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